Beobachtungen zur „Netzsprache“

Es ist wieder mal twenty.twenty und Blogparade ist auch. Dieses Mal geht es um das Thema „Netzsprache“. Dazu fällt mir so viel ein, dass sich das gar nicht in einen Text mit Einleitung, Hauptteil und tl;dr verpacken lässt. Ich liste daher einfach ein paar Beobachtungen auf.

Jedem Grüppchen sein Sprachsüppchen

Ich tue mich jetzt schon ein paar Jährchen im Internet um und stelle immer mehr fest, dass es erstens so etwas wie die eine Netzsprache nicht gibt und dass es zweitens – allen Lobliedern auf die unhierarchische Struktur des Netzes zum Trotz – mindestens zwei Hierarachieebenen in den einzelnen Foren und Gruppen gibt: Die Ebene der klugscheißenden Auskenner, die mit Fachbegriffen, Akronymen oder seltsamen Symbolen um sich werfen und die der Novizen, die noch viel lernen müssen. Wo immer man neu dazu stößt sind welche schon lange da und verwenden eine Sprache, die sich die Neulinge erst mühsam erarbeiten müssen.

In der Kürze liegt die Würze

zeichenbeschraenkung
Knappe Ressourcen zwingen die Menschen, sich kurz zu fassen. Das war schon bei Telefonzellen und beim Viertelanschluss so und jetzt ist es halt bei SMS und Twitter so. Aus meiner Sicht ist das kein Nachteil. Die besten Aphorismen haben auch nicht mehr als 140 Zeichen. Beispiel gefällig? Karl Kraus schrieb dereinst in 99 Zeichen über das Internet: „Vervielfältigung ist insofern ein Fortschritt, als sie die Verbreitung des Einfältigen ermöglicht. “

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“

Dieser Satz aus Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus gewinnt in Zeiten, wo das Internet viele Grenzen überwindet, besondere Bedeutung. Die Wahrnehmung dessen, was die Welt ausmacht, wird laut Wittgenstein geprägt durch die Sprache und das dafür vorhandene Begriffsrepertoire. Kann es sein, dass sich viele Menschen – vor allem Politiker – deswegen so schwer mit dem Internet tun, weil die Begrifflichkeiten dafür (nach wie vor) fehlen? Wir können das Netz auf einer technischen Ebene beschreiben, auf der sozialen und kulturellen Ebene ist das nach wie vor nicht so einfach.

Schweigen ist die digitale Flatline oder „Weiß jemand, was  mit xy ist? Sie hat schon zwei Tage nichts mehr getwittert.“

Die Timeline ist ja neuerdings das Maß aller Dinge. Der Sprechakt in Form unserer Statusupdates oder Kommentare oder unsere Beifallsbekundungen in Form von Likes oder Favs dienen oftmals gar nicht dem Transport der Aussage, die drin steckt, sondern nur als Lebenszeichen. Wer schweigt, rutscht unter den Bildschirmrand – und ist so gut wie tot.

Ich mag nicht mit Maschinen reden

Natürlich habe ich es schon mal versucht, aber ich bin mir dabei sehr blöd vorgekommen. Bitte verbinden Sie mich mit einem richtigen Menschen. Danke!

Wie schreibt man das im Dialekt?

Ich stelle fest, dass viele meiner Freundlinginnen und Freundlinge im Alltag sehr wohl Dialekt sprechen, im Netz aber mit Ausnahme einiger weniger Begriffe hie und da nie im Dialekt schreiben. Da werden eher englische Begriffe verwendet als Worte aus dem reichhaltigem Schatz österreichischer Dialekte. Kann es sein, dass es nur an Konventionen für Dialektschreibung mangelt oder liegt das vielleicht daran, dass Dialekt mehr Zeichen benötigt? (Schlag nach bei: H.C. Artmann: „med ana schwoazzn dintn“!)

Ich gehe auf stand-by. Not.

Die Alltagssprache hat – wie oben beschrieben – ein überschaubares Begriffsrepertoire, um soziale und kulturelle Phänomene im Netz zu richtig zu beschreiben. Umgekehrt halten aber viele technische Begriffe Eingang in unsere Sprache. Im Langenscheidt-Lexikon „100 % Jugendsprache 2015“ wird „auf Stand-by schalten“ als Umschreibung für „schlafen gehen“ angeführt.
Dafür ist es heute noch zu früh. Ich werde den Link zu diesem Text daher über Twitter, Facebook, Ello und vielleicht sogar über Google+ verteilen, damit mich dort niemand vermisst.

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