Can – The Lost Tapes

Diesen Text habe ich mit den Worten

„hier die Besprechung der Lost Tapes. Hoffe, Du findest sie nicht zu euphorisch.“

an den Chefredaktionsrat von The Gap geschickt. Seine Antwort war:

„ist ja can, ich hab gehört das passt da schon.“

Also:
Zurückhaltung! – Jahrzehntelang lagen diese Bänder in Archiven. Nun liegen sie neu editiert in Form von drei CDs vor. Zu hören ist Can-Material erster Güte. Unverständlich, warum das so lange zurückgehalten wurde.

Die Spuren der deutschen Ausnahmeband sind in so vielen Werken klugen Musikschaffens zu finden, dass der Platz hier nicht reicht, um auch nur die wichtigsten der Can-Inspirierten aufzuzählen. Die Musik der 1968 in Köln gegründeten Band ist auf mehreren Ebenen herausragend, interessant und einzigartig: Hier trafen klassisch ausgebildete Stockhausen-Schüler auf Jazz-Musiker, einen Gitarristen, der als Einziger glaubte, Can »würden Rock-Musik machen« und Vokal-Freaks im besten Sinne. Weder der erste Vokalist Malcolm Mooney noch sein Nachfolger, der japanische Weirdo Damo Suzuki, gehen als Sänger im engeren Sinn durch. Sie setzten ihre Stimme als Instrument ein, das sich in die von Schlagzeuger Jaki Liebezeit vorgezeichnete Rhythmik einfügte. Die Can-Mixtur wirkte nie aufgesetzt oder gekünstelt, sie kam aus der Fähigkeit, einander zuzuhören, aufeinander zu reagieren, miteinander zu arbeiten und dem unbeugsamen Willen, etwas ganz Neues zu schaffen. Und das haben sie gemacht. Ohne Kompromisse.
Sie haben in ihrem Studio mit relativ bescheidenen Mitteln großartige Raumakustik-Effekte geschaffen und sie haben die Bänder aus ihren schier endlosen Studio-Sessions in mühsamster Kleinarbeit editiert. Mit heutigen Produktionsmitteln ist das ja kein Aufwand mehr. Damals waren Samples noch kleine Schnipsel von Tonbändern. Manches, was Can produziert haben, klingt heute noch so unglaublich outer Space, dass es einem schwer fällt, das mit dem Begriff Klassiker zu belegen, obwohl sie das mittlerweile sind. Irmin Schmidt, Holger Czukay, Jaki Liebezeit, der 2001 verstorbene Michael Karoli und die beiden Vokalisten haben im Deutschland der späten 60er, frühen 70er Türen zu neuen musikalischen Räumen aufgestoßen. Was mit den Lost Tapes nun zum Vorschein gekommen ist zeigt: Das Gebäude war noch viel größer als angenommen.
 

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