Das sozial erwünschte Ich 2.0

Am Mittwoch, den 29. September findet im  KulturCafé des ORF RadioKulturhaus die erste Veranstaltung der Reihe twenty.twenty statt, deren Mitinitiator ich bin. Die Diskussion dort wird sich unter dem Titel Ich 2.0 der Frage nach der Identität im digitalen Zeitalter widmen. Hier ein paar Vorab-Gedanken dazu:
Wenn es um Identität im Web geht, so denkt man unwillkürlich an Fragestellungen rund um Privacy und Datenschutz. Als ich im Web sozialisiert wurde war der Grundtenor, sich zwar aktiv, aber möglichst unerkannt im Web zu bewegen. Man versteckte sich hinter kryptischen Usernamen und gab möglichst wenig private Details Preis. Heute lässt sich das Privatleben eines halbwegs aktiven Users bis in viele Details nachvollziehen. Von Locations und Routen, Stimmungen, über Fotos – alles da. Das kann immer wieder zu heiklen Situationen für einzelne Menschen führen. Ich bin allerdings der Meinung, dass das in den Griff zu bekommen ist. Einerseits durch einem bewussten Umgang der User mit ihren Daten und andererseits durch klare Rahmenbedingungen zu deren Verarbeitung und Verknüpfung. – Und die Gesellschaft wird vielleicht auch etwas unverkrampfter damit umgehen, wenn von fast jedem ein Partyfoto im leicht illuminierten Zustand im Web zu finden ist. (Wir waren ja alle mal jung.)
Doch darum geht es mir nicht. Mich interessiert viel mehr wie Identitäten im Web konstruiert werden. Das ist auch ein Thema mit dem sich der Medienwissenschaftler und Internettheoretiker Geert Lovink immer wieder beschäftigt. Ich möchte seine Ausführungen um einige persönliche Gedanken zur heimischen Blogger-“Szene“ ergänzen.
In seinem Buch „Zero Comments – Elemente einer kritischen Internetkultur“ setzt sich Lovink sehr kritisch mit der nach wie vor vorherrschenden romantischen Vorstellung auseinander, dass Blogger als Bürgerjournalisten die Welt zum besseren verändern können, weil sie ihre Inhalte außerhalb der klassischen Mechanismen der Medienproduktion erstellen. „Wir müssen uns von Theorien verabschieden, die das Internet mit Demokratie und der Ermächtigung von Identität und des Guten gleichsetzen“ meint er. Bloggen ist eine relativ aufwändige Beschäftigung, mit der sich direkt kein Geld verdienen lässt. Von Google AdSense, Flattr oder Kachingle kann kein Blogger leben.
Ich kenne mittlerweile viele österreichische Bloggerinnen und Blogger (einmal richtig gegendert muss hier reichen) persönlich (und nein: Andreas Unterberger kenne ich nicht) und keiner davon gibt sich der Illusion hin, dass man mit Blogs oder Twitter-Accounts Geld verdienen kann. Aber sie sind eine hervorragende Möglichkeit, sich selbst und damit die Dienstleistungen, die man für Geld anbieten will zu vermarkten. Und hier fängt’s an haarig zu werden. Zwar stehen Blogger außerhalb des traditionellen Medienbetriebes und müssen sich nicht wie Journalisten Sorgen machen, ob ein Anzeigenkunde möglicherweise nicht so angetan von der aktuellen Story ist, müssen sich nicht um eine Blattlinie kümmern und dennoch sind auch sie mit Zwängen konfrontiert.
Da ist einerseits der harte Kampf um Reichweiten, Followers und Friends und andererseits der soziale Druck der Peer-Group, des Netzwerkes. Zu ersterem schreibt Lovink: „Statt eines Bemühens um inhaltliche Qualität und eine Kultur des Schreibens (…) und Reflektierens ist ein gnadenloser Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit zu beobachten, die wiederum an der Anzahl von Links und Friends gemessen wird.“ Ich sehe nicht zwingend einen Widerspruch zwischen Qualität und dem Kampf um Reichweite, dennoch kommt es in der Blogosphere darauf an, ganz oben am Datenstrom zu schwimmen und etwa durch Hochfrequenzaktivität in den Timelines seiner Friends und Follower möglichst immer im sichtbaren Bereich des Bildschirms zu bleiben. Das ist eine Notwendigkeit, die  ein Bild eines Menschen vermittelt, das möglicherweise nicht mit der Offline-Identität im Einklang steht. Apropos Datenstrom: Die Metapher ist nicht ganz zufällig gewählt. Allgemein wird sie  hauptsächlich auf Einzelpersonen und deren digitale Äußerungen bezogen, ich sehe aber durchaus einen Zusammenhang mit dem Gesamt-Datenstrom von dicht miteinander vernetzten Personen. Im ständigen Fließen von Statusupdates, Bildern und geteilten Links, wird es verdammt schwer, dagegen anzuschwimmen. Obwohl auf Social Media augenscheinlich viel diskutiert wird, kostet ein Abweichen von den dort vorherrschenden Mainstream-Meinungen einiges an Energie. Die Identität wird also auch hier stark geformt vom sozialen Gefüge, in dem man sich befindet. Für die Kommunikation in diesem Umfeld ist räumliche Nähe zwar keine Voraussetzung mehr, dafür hat man noch viel intensiver mit Menschen zu tun, die ähnliche Interessen haben. Letztlich ist führt das dann auch dazu, dass das Schwimmen im Strom oftmals den Geschmack von „Kochen im eigenen Saft“ bekommt. Natürlich steht es jedem frei, sich mit seiner Meinung freizuschwimmen, doch dafür gibt es keine Re-Tweets und keine Likes. Lovinks Schluss ist mir dann aber doch eine Spur zu desillusionierend: „Der Identitätszirkus, der sich ‚Blogosphäre‘ nennt, ist nicht gerade der Ort an dem progressive Typen den Ton angeben.“
Mein Fazit: Auch wenn das Web oberflächlich betrachtet viele Möglichkeiten für Freiheiten bietet, gibt es doch starke Tendenzen zum Konformismus und es bedeutet viel Kraftaufwand, sich eine eigenständige starke Identität aufzubauen.  Mehr dazu morgen bei twenty.twenty. (Twitter Hashtag: #future2020)
Hier weitere Beiträge aus der Blogparade zum ersten Thema von twenty.twenty von:
Jana Herwig
Luca Hammer
Ritchie Pettauer
René Wegscheider

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