Die gute Nachricht: Das politische System ist reformierbar. Die schlechte: Wir müssen den Job selbst machen

Vor einigen Wochen habe ich mich per Blogpost dazu bekannt, bei einer politischen Partei zu sein. Etliche Reaktionen darauf haben mich doch einigermaßen überrascht. Wohlgemerkt, ich bin nur Mitglied der Piratenpartei, habe keine offizielle Rolle in der Partei und dennoch bezeichnen mich manche jetzt als Politiker. Der Begriff ist dabei durchaus abwertend gemeint.

Weit ist es gekommen im Schnitzelland!

Die Menschen, die uns gewähltermaßen repräsentieren, haben den Ruf der Politik so runtergewirtschaftet, dass man sich fast schon entschuldigen muss, sich im System Politik zu engagieren. Die Bürgerinnen und Bürger sind so angewidert von dem, was die offizielle Politik sagt und tut, dass sie den Glauben daran verloren haben, noch etwas ändern zu können. Und die, die es im Rahmen des Systems – genauer im Rahmen der Parteipolitik – tun, machen sich verdächtig, eigentlich nur den Status quo erhalten zu wollen.

Kritik von außerhalb

Ich schreibe hier natürlich über meinen Ausschnitt der Realität, über mein persönliches Umfeld, über Menschen irgendwo zwischen 30 und 40, gut ausgebildet und politisch interessiert bis engagiert. Für sie bedeutet politisches Engagement allerdings, konsequent außerhalb des parteipolitischen Rahmens zu bleiben. Sie finden Aktivismus gut, machen auch bei der einen oder anderen Aktion oder Demo mit. Manche organisieren auch selbst welche. Sie sind Teil einer kleinen Bevölkerungsgruppe, die die heimische Zivilgesellschaft ausmachen. So unterschiedlich ihre Meinungen und Positionen im Detail auch sein mögen, eines eint sie: Sie sind sie kritikfähig und –willig, vor allem auf Social Media Plattformen.

Das Maß, mit dem Politiker gemessen werden

Wenn ich jetzt als einfaches Parteimitglied bei einer zivilgesellschaftlichen Initiative anklopfe, dann kann es schon passieren, dass ich zu hören bekomme, dass man dort mit einer Partei lieber nichts zu tun haben möchte. Nichts gegen die Piraten an sich, aber man wolle generell nicht mit einer Partei… Wie gesagt, ich bin nur einfaches Parteimitglied und habe ansonsten keinerlei Funktion in der Piratenpartei. Ich habe mich nur öffentlich dazu bekannt, Mitglied zu sein und nutze jetzt die Tools der Piratenpartei, um da und dort einen Beitrag zu Diskussionen, Aktionen und Programmanträgen zu leisten. Das reicht schon, um anders gesehen zu werden. Das reicht schon, um den Stempel eines Parteipolitikers aufgedrückt zu bekommen und von manchen der dunklen Seite der Macht zugerechnet zu werden. Manche meinen jetzt sogar, dass der eine oder andere meiner Tweets (die sind nicht immer ganz ernst zu nehmen) nicht der Rolle eines Politikers entspräche. Dabei bin ich immer noch der Selbe wie vor ein paar Wochen. Mein schlechter Humor ist auch gleichgeblieben.

Was denn sonst?

Ich habe große Hochachtung vor Aktivisten, vor denen, die viel Kraft und Zeit investieren, um Dinge zum Besseren zu verändern oder Schlimmeres zu verhindern. Ich fürchte nur, dass das alleine nicht ausreicht, das politische System zu reformieren und es endlich ins 21. Jahrhundert zu befördern und zwar mit allem was dazugehört inklusive digitaler Bürgerrechte. Nehmen wir nur zwei Beispiele.
Erstens: Die Vorratsdaten-Richtlinie der EU wurde 2005/2006 im Eilverfahren durchgewinkt; von gewählten Politikern. Die Proteste der Aktivisten waren zu Beginn kaum wahrnehmbar und heute wo sie es sind, hat es der AK Vorrat  noch immer schwer, sich bei Politikern das Gehör zu verschaffen, das ihr mit über 100.000 Unterstützern der Initiative und 11.139 Unterzeichnern des Antrags gegen die Vorratsdatenspeicherung zusteht.
Zweitens: ACTA wurde hinter verschlossenen Türen mit gewählten Politikern (und vielen Beamten) verhandelt und erst nach massiven Protesten gekippt. Erst gestern habe ich am 29c3 von einigen Menschen gehört, die maßgeblich an der Organisation der Proteste beteiligt waren, dass sie zu Beginn alles andere als sicher waren, dass das wirklich gelingen kann. Es ist gelungen. Das ist aber keine Garantie dafür, dass es wieder gelingt.

Alles wird gut. Alle werden Politiker.

Hätten wir (mehr) Politiker in relevanten Positionen, die sich dafür einsetzen, dass elementare Bürgerrechte auch in der digitalen Sphäre gelten, wäre es möglicherweise nicht zu ACTA oder zur Vorratsdatenspeicherung gekommen. Daher bin ich der Überzeugung, dass es ein lohnenswertes Unterfangen ist, Parteien zu unterstützen und sie zu wählen. Noch mehr bin ich der Überzeugung, dass zivilgesellschaftliche Initiativen nach wie vor wichtig sind. Allerdings nicht zur Verhinderung von bereits verbockten Gesetzesentwürfen oder Handelsabkommen, sondern als Impulsgeber für Politiker, die auf diesem Weg vernünftige Argumente bekommen. Die Piraten sind dafür ganz gut aufgestellt. (Und sie haben mit dem Urheberrechtsdialog auch gezeigt, dass sie diese Rolle ernst nehmen.) Wir können das System der repräsentativen Demokratie nicht denen überlassen, denen wir misstrauen. Wir können es ändern. Wir können und müssen mitmachen. Darum verwende ich einen Teil meiner Zeit für die Piratenpartei. Wenn ich damit schon als Politiker gelte, soll’s so halt so sein. Mit und bei den Piraten kann übrigens jede und jeder Politiker sein.
Meinen schlechten Humor behalte ich aber. (Wenn ich nur deswegen einen schlechten Ruf habe, ist das für mich o.k.)

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