Ein Loblied auf die Mikrokosmen

Der Duden meint, philosophisch betrachtet sei ein Mikrokosmos die „kleine Welt des Menschen als verkleinertes Abbild des Universums“. Das Universum. Ein voll funktionsfähiges Etwas, wo eins ins andere greift. Supernovæ, schwarze Löcher, neu entstehende Planeten und so Zeug. Die Lebenswelt von Menschen soll ein Abbild des Universums sein? Das ist anmaßend.

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Bild: NASA, ESA, and G. Bacon (STScI) CC BY 3.0

 

Wir Menschen haben einen beschränkten Horizont. In jeder Hinsicht. Der Mikrokosmos, in dem jede und jeder von uns lebt, ist alles andere als ein Abbild des Universums. So viele Bücher können wir gar nicht lesen, dass wir auch nur annähernd das Universum nachspielen könnten. So viele Bücher kann eine Gruppe von Menschen gar nicht lesen, dass sie alle wesentlichen Elemente des Kosmos soweit verstehen würde, um das Leben daran auszurichten.
Und doch scheint es mir heute sinnvoller als je zuvor, die Idee des menschlichen Mikrokosmos zu verfolgen. Das hat ein wenig mit dem Gedanken zu tun, den Kurt Tucholsky in seinem Gedicht „Ideal“  formuliert:

„Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.“

Das persönliche Glück hat immer „einen kleinen Stich“. Mag sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich mit dem Stich abfinden muss. Die wenigsten tun es.
Ich bin in einer Gegend mit schöner Aussicht aufgewachsen. Mehr hatte sie leider nicht zu bieten. Das Mühlviertel ist damals maximal ein verkleinertes Abbild einer sehr tristen und kalten Ecke des Universums gewesen. Die Sonne der Kultur hat mich dort nicht gewärmt. Fünf TV-Sender, die Ö3 Musicbox und die Vinyl- und Büchersammlung des kleinen Kreises an Gleichgesinnten – das konnte nicht die Welt repräsentieren!
Daher bin ich nach Wien gezogen. Eine Großstadt (zumindest für europäische Verhältnisse) darf schon eher von sich behaupten, ein Mikrokosmos im Sinne des Duden zu sein. Aber irgendwie hat auch niemand in einer Großstadt das Gefühl, das eigene Umfeld – die paar Freunde und Bekannten, der tägliche Arbeitsweg und die immer gleichen Routinen – würde einem ein vollwertiges verkleinertes Abbild des Universums zeigen. Nun gut, auf Schwarze Löcher würden die meisten ohnehin verzichten.

Technologie schafft menschliche Mikrokosmen

Technologie kann daran etwas ändern. In der Stadt und am Land. Hätte ich etwa in meiner Jugendzeit das Internet gehabt, wäre ich mir im Mühlviertel nicht wie ein Gestrandeter auf einem erkalteten Planeten vorgekommen. Ich hätte eher das Gefühl gehabt, Zugriff auf die Vielfalt der Welt zu haben, ein bisschen so wie es Tucholsky beschreibt. Und auch heute in der Stadt merke ich, dass nur Technologie imstande ist, etwas zu schaffen, das ein funktionsfähiges Etwas darstellt, in dem man sich auch wohlfühlen kann. Aus meiner Sicht kann man sich nur wohlfühlen, wenn man die Möglichkeit hat, die Welt selbst zu gestalten. Und das kann man am besten dort, wo Strukturen klein und überschaubar sind. Im Grätzl, im Dorf, im Fablab, oder im Hackerspace. Im besten Fall sind das keine abgeschotteten Rückzugsgebiete mit Fototapeten ferner Länder an den Wänden, sondern offene und kleine Strukturen, die Einflüsse von außen zulassen und sich mit anderen austauschen. Auf solche Mikrokosmen will ich gerne ein Loblied singen. (Und ganz super wäre, wenn ich irgendwo eine lizenzfreie Vorlage downloaden könnte, um eine kleine Supernova mit einem 3D-Drucker produzieren zu können.)
Dieser Blogpost ist ein Beitrag zur Diskussion „Ferne Nähe. Wie das Internet Relationen verschiebt und was das für Politik, Wirtschaft und Raumplanung bedeutet“ der Reihe twenty.twenty. Die Podiumsdiskussion dazu findet am Mittwoch, 25. November 2015 ab 19:00 Uhr statt. Hinkommen lohnt sich.
Zur Vorbereitung noch eine Geschichte über die Offenen Technolgielabore (OTELO): Ein Modell für neue Arbeit. Martin Hollinetz, der Mitgründer der Offenen Technologielabore hält die Keynote bei der Veranstaltung.

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