Genossenschaft der Entrepreneure

Ich war im Sommer beim Jahrestreffen von Otelo in Vorchdorf. Dort habe ich mit Martin Hollinetz über die in Gründung befindliche Genossenschaft gesprochen. Ich finde es äußerst faszinierend, wie hier innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen ein gänzlich neues Modell zur Organisation von Arbeit erprobt wird. Die Zusammenfassung meines Gesprächs ist in der aktuellen Ausgabe von The Gap zu lesen. – Und hier auch:

In Oberösterreich wird derzeit Arbeiten in der Communitiy neu erfunden. Unternehmer organisieren sich in einer Genossenschaft, die erwirtschaftete Gewinne in Form von Freizeit ausbezahlt. Dies ist nur eine von vielen Ideen, die in Otelos, den offenen Technologielaboren entwickelt werden.
3D-Drucker sind zum Symbol für die Möglichkeiten dezentraler Produktion und der Unabhängigkeit von großen Industriebetrieben geworden. Diese Wunderdinger fehlen natürlich auch in keinem Otelo – so das Kürzel für die offenen Technologielabore – von denen es mittlerweile vier in Oberösterreich und eines in Deutschland gibt. Doch 3D-Drucker und selbst das breitest gefasste Verständnis von Technologie reichen nicht aus, um die Otelo-Philosophie vollständig zu beschreiben. In Otelos wird nicht nur gebastelt, geschraubt, gelötet und mit Technologie experimentiert, hier wird auch über die Zukunft der Arbeit und der Wirtschaft nachgedacht und hier werden neue Modelle auch gleich erprobt. Erst kürzlich wurde eine Genossenschaft gegründet, die Entrepreneurship auf vollkommen neue Beine stellt. Als „unselbstständig Selbstständige“ haben angestellte Mitglieder alle Sicherheiten, die ein Angestelltenverhältnis mit sich bringt, und sie können dennoch wie eigenständige Unternehmer agieren.

Balance zwischen Arbeit und Zeit

Martin HollinetzFür Otelo-Mitbegründer Martin Hollinetz waren zwei Überlegungen ausschlaggebend für die Entwicklung des neuen Konzepts. Die erste war recht pragmatisch: In den Otelos werden immer wieder Ideen entwickelt, die in Projekten und wirtschaftlicher Tätigkeit münden. Für deren Abwicklung braucht es eine professionelle Struktur, die die regionalen Trägervereine nicht bieten können. Die zweite ist viel tiefgreifender: „Viele, die in Otelos aktiv sind, setzen sich mit dem Verhältnis von Arbeit und Zeit auseinander und damit, wie eine Balance zwischen beiden hergestellt werden kann. Wir wollten uns mit der Genossenschaft ein eigenes Modell schaffen, wie wir Arbeit organisieren können“, so Hollinetz.
Die herkömmlichen Modelle folgen alle einer simplen Logik: Wer heutzutage unternehmerisch tätig wird, ist Diener des Wachstumsparadigmas. „Wenn du ein Unternehmen gründest, musst du gewinnorientiert wirtschaften. Wenn du sinnvoll unternehmerisch tätig sein willst, muss dein Unternehmen wachsen.“ Diese Diagnose trifft auf einzelne Unternehmen ebenso zu wie auf die Gesamtwirtschaft. Die Otelo-Genossenschaft bietet einen konkreten Ansatz für einen Paradigmenwechsel in Richtung einer nachhaltigeren Entwicklung. Die Angestellten der Genossenschaft bekommen ein vorab festgelegtes Fixgehalt, das alles abdecken soll, was sie zum Leben brauchen. Wer besser wirtschaftet – also hochgerechnet auf ein Jahr mehr verdient als erwartet – bekommt die Gewinne in Form von mehr Freizeit zurück. Um das Risiko für die einzelnen Mitglieder und die Genossenschaft selbst überschaubar zu halten, hinterlegen die Mitglieder eine Kaution. Wenn ihr Businessplan nicht aufgeht, beginnt ein Kündigungsprozess mit entsprechenden Fristen zu laufen.

Szenarien durchspielen

In der Startphase organisieren sich neun Personen mit Selbstanstellung in der Genossenschaft. Ihre Leistungen reichen von der Medienproduktion über Wissensvermittlung im Bereich Naturwissenschaft und Technik (etwa „KET – Kinder erleben Technik“) bis hin zu Projekten, die auf möglichst niederschwelligen Zugang zu 3D-Druck abzielen. Letztere konnten mit Unterstützung des Infrastrukturministeriums in den Regelunterricht von acht Schulen der Region aufgenommen werden. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe bauen und kalibrieren die Geräte und in der Unterstufe werden eigenentwickelte Objekte damit gefertigt.
Für die Entwicklung des Genossenschafts-Modells ist schon viel Zeit aufgewendet worden. Der gesamte Prozess wird von Experten aus verschiedensten Disziplinen begleitet. Eine große Anwaltskanzlei hat kostenlos bei der Formulierung der Geschäftsordnung unterstützt. In Simulationen wurden unterschiedlichste Szenarien – von der gemeinsamen Anschaffung von Gütern bis zu dem Fall, dass neue Mitglieder Gewerbeberechtigungen in die Genossenschaft einbringen – durchgespielt.

Sich der Wachstumsspirale entziehen

Für Hollinetz sind Otelos samt Genossenschaft Beiträge zu einem neuen Verständnis von Regionalentwicklung. Sie sollen als Vorbild für weitere ähnlich gelagerte Initiativen dienen. Sie stoßen stoßen auf großes Interesse. Sogar Raiffeisen hat Gefallen am Konzept der Genossenschaft gefunden und will sie unterstützen. Hollinetz erklärt sich das so: „Wir erfüllen damit eine Art Grundauftrag, wie ihn auch Raiffeisen bei der Gründung seiner Genossenschaften formuliert hat.“ Der Fokus liegt dabei nicht auf schnellem Wachstum oder der Eröffnung neuer Otelo-Standorte, sondern in der präzisen inhaltlichen Ausgestaltung: „Otelo kriegt zunehmend die Aufgabe, die Botschaft zu vermitteln. Es geht uns darum, Menschen zu ermutigen, ähnliche Projekte und Communities zu gründen. Wir wollen eher den Modellcharakter unserer Arbeit betonen als uns der Dynamik schnellen Wachstums auszusetzen.“

Systemischer Ansatz

Die Botschaft von Otelo zielt nicht auf die große Revolution ab. Hollinetz ist lange genug in der Regionalentwicklung tätig, um zu wissen, dass es sich nicht lohnt „gegen das System anzurennen“. Es geht vielmehr um einen systemischen Zugang: „Wir wollen durch die Verknüpfung von Bestehendem Neues schaffen. Damit entsteht viel mehr Boost als durch den Kampf gegen Strukturen.“ Den empfindet er als viel zu anstrengend. Mit diesem Ansatz lassen sich die Otelos dem zurechnen was Frithjof Bergmann als „Neue Arbeit“ propagiert: eine Arbeit, die man wirklich machen will und zwar in einer Wirtschaft, in der Selbstversorgung und Dezentralität eine wichtige Rolle spielen und in einer Gesellschaft, die durch Kooperation in kleineren Communities gekennzeichnet ist. Der Weg dorthin ist für Bergmann eine evolutionäre Entwicklung, die durch Projekte wie Otelo stimuliert wird.

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Neue Arbeit

Frithjof Bergmann ist so etwas wie Henry David Thoreau plus Technikaffinität. Leitgedanke seiner Philosophie der Neuen Arbeit ist, dass Menschen nur dann frei sind, wenn sie erkennen, was sie „wirklich, wirklich wollen“ und das auch umsetzen können. Der in Österreich geborene und in den USA lebende Philosoph initiiert und begleitet seit vielen Jahren Projekte in aller Welt, die genau das zum Ziel haben. Technologien haben dabei einen hohen Stellenwert. Sie sind die Grundlage für ein robustes, dezentralisiertes Wirtschaftssystem, das jedem einzelnen aber auch Regionen mehr Unabhängigkeit bringt. Bergmann sieht die optimale Mischung für die neue Arbeit in der Formel: ein Drittel „High-Tech-Eigenproduktion“, ein Drittel „Erwerbsarbeit“ und ein Drittel „wirklich, wirklich Wollen“.
Mehr über „Neue Arbeit. Neue Kultur“ unter www.neuearbeit-neuekultur.de

Otelo Genossenschaft

In den gemeinschaftlich organisierten Innovations- und Experimentierräumen der Otelos entstehen immer wieder wirtschaftliche verwertbare Ideen und Projekte, auch wenn es in erster Linie um den niederschwelligen, lustvollen und kreativen Umgang mit Technologie geht und „nichts Funktionierendes oder Verwertbares entstehen“ muss. Die Otelo Genossenschaft bietet die organisatorische Struktur für die Realisierung dieser Ideen sowie für die Abwicklung überregionaler Projekte und Kooperationen. Sie fungiert auch als Einkaufskooperation und Betriebsgesellschaft für gemeinschaftlich genutzte Güter und Infrastrukturen. Wer sich als Entrepreneur in die Genossenschaft einbringen will, errechnet auf Basis eines Businessplans ein fiktives Monatseinkommen inklusive aller Zusatzkosten für Versicherung, Steuern und andere Gemeinkosten. Drei dieser Monatsblöcke werden dann als Kaution in die Genossenschaft eingebracht. Die Rechtsform einer Genossenschaft ist per definitionem darauf ausgelegt, wirtschaftliche bzw. soziale Leistungen für ihre Mitglieder zu erbringen. In diesem Fall sind das Anstellung, Infrastruktur und Coachingleistungen und zum anderen ist es die „Auszahlung“ der Gewinne an die Angestellten in Form von Freizeit.
Mehr über Otelo unter www.otelo.or.at

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