Lasst die Piraten ablegen!

Nachdem Die Zeit mit einer Geschichte [1] über die Piraten aufgemacht hat und auch Armin Thurnher (Falter) und Christian Rainer (profil) ihre schaurigen Wortspenden abgeliefert haben, halte ich es nicht mehr aus: Ich muss jetzt auch was dazu sagen. Etwas ganz Grundsätzliches. Das Bild, das die etablierten politischen und journalistischen Kräfte von den Piratenparteien in Österreich zeichnen, strotzt nämlich vor Unverständnis, Feindseligkeit und Angst.
 Hier ein paar Gedanken zu den zentralen Argumenten der Piratendebatte:

„Die Piraten sprechen sich mit Ihrer Forderung nach Legalisierung von Filesharing für Diebstahl aus.“

„Es ist Diebstahl, wenn man im Supermarkt etwas mitnimmt ohne dafür zu bezahlen. Genauso ist das auch mit digitalen Produkten.“ – Dieses Argument wird nicht richtiger, wenn man es gebetsmühlenartig wiederholt. Wer ein File kopiert, nimmt es niemandem weg. Digitale Produkte lassen sich beliebig oft kopieren.

„Die negativen Effekte von Filesharing können nicht als bewiesen gelten. Ganz im Gegenteil ist es sogar möglich, dass die positiven Effekte überwiegen.“

Das sagt kein pickeliger Nerd (als solche werden die Piraten ja gerne beschrieben), das schreiben die Autoren eines der besten Bücher zum „Informationsmarkt“, das ich seit langen Händen gehabt habe. Frank Linde und Wolfgang W. Stock, die Autoren des umfangreichen Bandes [2] sind zwei deutsche Professoren für Informationswissenschaft und haben viel Literatur studiert und zahlreiche Studienergebnisse zusammengefasst. Ihr Fazit unterstützt die Grundannahme der Piraten, dass geteiltes Wissen einen Nutzen für die Gesellschaft hat. Klar ist, dass die Leistungen all jener, die Wissen in Form von Musikstücken, Filmen und Texten produzieren entsprechend anerkannt und entlohnt werden muss. Die gegenwärtige Interpretation von Urheber- und Verwertungsrechten ist unzeitgemäß und unterstützt die Verlage und Labels weitaus besser als die Urheber. Darüber muss dringend diskutiert werden. Mag sein, dass Piraten in dieser Debatte eine Extremposition einnehmen. Solche sind manchmal notwendig, um bis zum Kern des Problems vorzudringen und so einer Lösung näher zu kommen. Derzeit erleben wir aber keine Problemlösungsversuche, sondern im Gegenteil Tendenzen, die weit über das Ziel hinausschießen. Was  angeblich nur der Eindämmung der Piraterie dienen soll, gefährdet demokratische Werte. Wenn Abkommen wie ACTA , SOPA, PIPA oder CISPA in Kraft gesetzt werden, werden die Freiheiten der einzelnen unverhältnismäßig beschnitten und private Unternehmen werden gezwungen, Aufgaben der Exekutive zu übernehmen. Ich bin der Meinung, dass die Zukunft der Demokratie im Umgang mit dem Netz entschieden wird. Wenn Freiheitsrechte aller eingeschränkt werden, um die Rechte weniger Schöpfer von „eigentümlichen geistigen Schöpfungen“ durchzusetzen, läuft etwas gewaltig schief.

„Die Inhalte der Piraten sind zu schwammig, sie haben kein Programm, keine Meinung.“

Mag sein, dass die Piraten in vielen Sachfragen (noch) keine dedizierte Position haben. Sie haben aber ein paar eherne Grundsätze, die sie (noch) nicht dem politischen Tagesgeschäft und den dort üblichen Tauschhandeln opfern wollen. Dazu gehört auch das Bekenntnis zu einer Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten für die einzelnen (und zwar innerparteilich und auch in der Sachpolitik). Im Netz funktioniert Kollaboration auf sehr vielen Ebenen. Zahllose Umfragen über die Einstellung der Menschen zu Politik und Politikern liefern das Ergebnis, dass sich die Menschen mehr direkte Mitsprachemöglichkeiten wünschen. Die Piraten unternehmen den Versuch, diesem Wunsch gerecht zu werden. Das ist schwierig und vor allem zeit- und ressourcenintensiv. Ihnen das schon zu Beginn zum Vorwurf zu machen und sie gleich mit Fundamentalkritik in Grund und Boden zu schreiben, halte ich für falsch und unfair. Da spricht die Angst. Ich möchte zuerst sehen, wie Liquid Democracy  funktioniert, ob sie sich als Instrument politischer Entscheidungsfindung einsetzen lässt und ob sie dauerhaft betrieben werden kann. Der Einsatz derartiger Tools und die Philosophie, dass Vertreter der Piraten in der Öffentlichkeit nur zu Dingen Stellung nehmen, die in den (Online-)Gremien besprochen wurden, haben auch dazu geführt, dass die Spitzenpolitiker bei öffentlichen Auftritten als konturlos bezeichnet werden. Mit dieser Haltung machen es sich die Jungpolitiker nicht leicht, im medialen Politzirkus zu bestehen. Andererseits ist das eine sehr konsequente Umsetzung der Idee von Politikern als „Diener des Volkes“. Das sollte man respektieren.

„Die Piraten sind Politik-Dilettanten.“

Viel wurde schon geschrieben darüber, dass der Berliner Piratenkandidat Andreas Baum nicht wusste, wo hoch der Schuldenstand seiner Stadt war. Das steht symptomatisch für viele Argumente, die schon gegen die Piratenparteien in Österreich und Deutschland vorgebracht wurden. (Mit anderen Ländern habe ich mich bislang nur wenig beschäftigt.) Jetzt mal ganz ehrlich: Glauben wir wirklich, dass die Politiker etablierter Parteien immer alle Zahlen parat haben? Ich nicht. Sie verstehen es nur besser ausweichend zu antworten und ihre NLP-Skills einzusetzen. Und notfalls fasst halt ein Pressesprecher nach, dass Medien diese oder jene Passage doch besser nicht bringen sollten. Ich finde es im Gegenteil mutig, wenn Menschen es auf sich nehmen, als Mandatare im Politgeschäft mitspielen zu wollen. Dieser Weg ist viel beschwerlicher, als sich im Rahmen von NGOs oder Protestbewegungen zu engagieren. Ich möchte die Arbeit dieser Initiativen nicht klein reden, aber als Spitzenkandidat einer Partei zu allen Themen der Tages-, Grundsatz und Weltpolitik eine Meinung haben zu müssen, ist sicherlich eine größere (jedenfalls eine andere) Herausforderung als sich in der politischen Arbeit auf Sachthemen zu konzentrieren. Die Piraten und vor allem ihre Spitzenkandidaten tun sich das an. Ja, sie sind Dilettanten. Aber im besten Sinne. Sie sind nicht jahrelang in Parteiakademien geschult worden. Sie können nicht auf den Apparat einer großen Partei zurückgreifen. Sie wollen einfach Politik machen. Dafür haben sie meine Hochachtung. Andere versuchen dieses Engagement im Keim zu ersticken.

Die Piraten haben ein Problem mit Mitgliedern aus dem rechten Lager.“

Ja, es ist ein Problem für eine Partei, die sich auf ihre Fahnen heftet, möglichst offen für Argumente und Meinungen zu sein, wenn sie Mitglieder hat, deren Weltanschauung nicht von dieser Offenheit gekennzeichnet ist. Wenn die Piraten ihre Grundsätze ernst nehmen, werden sie dieses Problem lösen. Ansonsten haben sie sich ad absurdum geführt. Seit ich mich für Politik interessiere (also mehr als 20 Jahre), höre ich immer wieder von Politikern, dass sie sich nicht in das Links-Rechts-Schema einordnen lassen wollen. Den Piraten (als Partei) glaube ich das. Wenn neue Angebote am „politischen Markt“ auftauchen, gibt es immer wieder auch ein paar institutionell Heimatlose, die dort ihr Glück versuchen. Wer für Nationalismus und Totalitarismus eintritt, kann seine Heimat nicht in einer Institution finden, die das Gegenteil in ihrem Programm stehen hat.

Lasst die Piraten ablegen!

Die ehrwürdige Zeit hat mit „Keine Angst vor den Piraten!“ getitelt. Die Debatte ist hierzulande leider geprägt von einer Riesenangst. Anders als in Deutschland versuchen Politik und Medien, die Piratenparteien möglichst am Ablegen zu hindern. Die Grünen haben erst mit einer Umarmungsstrategie versucht, sie an sich zu binden. Das hat ihr viel zu früh verstorbener Gründer Florian Hufsky (RIP!) erkannt und verhindert. Heute dürfen sich die Piraten von den Grünen anhören, was sie selbst zur Zeit ihrer Gründung selbst gehört haben. (Dabei sollte man aber bedenken, dass die Grünen damals von Politprofis gegründet wurden.) Die anderen Parteien reagieren auf ihre neuen Mitbewerber größtenteils mit Verachtung. Und die großen Medien des Landes unterstützen sie dabei. Ich würde mir wünschen, dass man die Piraten zumindest mal ablegen lässt. Sie haben ein paar Antworten. Nicht nur in Sachfragen, auch auf die viel beklagte Politik(er-)Verdrossenheit.
Auch lesenswert: 

[1] „Keine Angst vor den Piraten!“ in der Printausgabe von Die Zeit Nr. 18, 26. April 2012
[2] Frank Linde & Wolfgang G. Stock: Informationsmarkt. Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen. Oldenbourg, München 2011.
Nachbemerkung: Diesen Beitrag habe ich in Berlin geschrieben, wo die Piraten im Abgeordnetenhaus sitzen. Die Stadt macht auf mich einen hoch sympathischen Eindruck.

Nach oben