Mit Politik spielt man nicht. Oder doch?

Übernächsten Montag ist wieder twenty.twenty. Das Thema dieses Mal ist Gamification („Bildung. Arbeit. Leben. – Ein Spiel!”) und wieder einmal ist Blogparade. Hier meine 50 Cent.
Gamification („Spielifizierung“ in der eingedeutschten Variante) beschreibt den Trend, Mechanismen, die sich bei Computerspielen bewährt haben, in anderen Kontexten einzusetzen. Eine spielerische Verpackung und ein wenig Wettbewerb helfen ja ungemein, Menschen für schwierige und unangenehme Tätigkeiten zu motivieren. Und wenn’s gut gemacht ist, lassen sich damit auch komplexe Inhalte spielend vermitteln.
Ich will mich nicht lange mit der Definitionsfrage aufhalten. Das können die Wikipedia-Autoren ohnehin besser. (Siehe hier die Definition von Gamication  bzw.  Gamifizierung). Eines möchte ich hervorheben: Der Kern der meisten Beiträge zum Thema Gamification ist ein geändertes Verhältnis von Spiel und dem was man gemeinhin unter Realität versteht.

Aufhebung der Dichotomie zwischen Spiel und Realität

Früher hat man Spiele abgekoppelt von der Lebenswirklichkeit gesehen. Das Spiel reduziert

„die Komplexität und Undurchsichtigkeit der Wirklichkeit und ist grundsätzlich eine (a) freie, eine (b) ungewisse, eine (c) vom Alltag abgetrennte, eine (d) unproduktive, eine (e) geregelte bzw. eine (f) fiktive Betätigung.“ [1]

Jetzt docken Spiele verstärkt an die Realität an. Sie werden zu deren Bestandteil. Und das viel unmittelbarer, als es Johan Huizinga gemeint hat, als er vom „Homo Ludens“ und der „kulturschaffenden Funktion“ des Spiels geschrieben hat [2]. Da werden etwa komplexe wissenschaftliche Fragen, wie etwa die nach der Struktur eines Aids-Virus ähnlichen Enzyms in nur wenigen Stunden spielend entschlüsselt (wie bei Fold.it) oder Spieler entziffern Begriffe, die Computer bei der Digitalisierung von Zeitungen für die finnische Nationalbibliothek nicht interpretieren können (wie bei Digitalkoot).

Die Gamer: Immer aktiv

Nachdem ich einiges über das Thema gelesen habe, will ich einen Aspekt herausstreichen, der aus meiner Sicht in der Diskussion zum Thema Gamification zu kurz kommt: Wer spielt, ist immer aktiv. Ausnahmslos immer. Das klassische Marketing hat das längst erkannt. Die Wissenschaft auch. Nur in der Politik will man sich nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden. Überall ist die Rede von aktiven Konsumenten, von Prosumern – und es darf auch gespielt werden.

Mit so ernsten Dingen wie der Politik spielt man nicht!

Nein, mit Politik nicht. Auch da reden wir immer mehr von direkter Demokratie und von Partizipation. Aber Spaß machen darf das nicht. Es gibt natürlich erste Ansätze: Liquid Feedback  hat einige Elemente, die durchaus in Richtung Gamification interpretiert werden können. Die Open Source Software, die unter anderen von den Piratenparteien für „Meinungsbildung und Entscheidungsfindung“  eingesetzt wird, weist einige Merkmale von Spielen auf. So werden die Themen, die dort beschlossen werden, als „Gewinner“ bezeichnet und die grafischen Symbole erinnern frappant an die Badges von Foursquare und Konsorten.
Auch  auf iDepart, einer überparteilichen Plattform für Bürgerinitiativen, sind einige Spielelemente zu finden.

Und jetzt soll mir bloß niemand kommen und sagen, dass ich den Gamification-Konnex künstlich konstruiere. Andere haben den schon vor mir gesehen. In dem überaus lesenswerten Beitrag „LiquidFeedback: Gamification der Politik?“ steht etwa:

„Das Ziel ist, lust- und effektvollere Teilhabe- und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu etablieren, als unsere Parteiendemokratie bisher vorgesehen hat.“

Nun ja. In Ansätzen ist das zu erkennen, aber der Lustfaktor ist noch nicht besonders ausgeprägt. Das Potenzial, das Spieler (also aktive Teilnehmer) der Politik bringen können, wird so gut wie noch gar nicht lukriert.

„Panem et Circensis“

Das geflügelte Wort des römischen Dichters Juvenal wird vollkommen zu Unrecht mit „Brot und Spiele“ übersetzt. Was er mit „Circensis“ gemeint hat, hat nichts mit der aktiven und lustvollen Teilnahme an politischen Diskussions- und Entscheidungsfindungsprozessen zu tun. „Circensis“ ist das Entertainment, das inszenierte politischer Ereignisse bringen. Das Wahlvolk verharrt in Passivität. Es bleibt Publikum. Bis 2020 sollte es gelingen, Brot und „Spiele“ im Sinne des oben Gesagten zu bieten. Mit Politik darf gespielt werden. Demokratie kann Spaß machen.
 
[1] http://www.uni-giessen.de/~g51039/vorlesungV.htm
[2] Johan Huizinga (1938) Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Rowohlts Enzyklopädie, 20. Auflage (2006), Rowohlt, Hamburg

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