Christian Rainer und der Unsinn, den man mit Klarnamen treiben kann

Wer auf startpage.com nach „christian rainer daneben“ sucht, erhält 35.894 Ergebnisse. Das reicht zwar nicht als Beweis, dass die neuesten Ausführungen des Chefredakteurs und Herausgebers des ehemaligen Qualitätsmagazins „profil“ daneben sind, aber es ist ein guter Einstieg für einen Text.
Etwa ein Jahr nachdem erste Details der von Edward Snowden gesammelten Fakten über das unfassbare Ausmaß der geheimdienstlichen Überwachung im Internet bekannt geworden sind und etwas mehr als einen Monat, nachdem der EuGH der Vorratsdatenspeicherung eine klare Absage erteilt hat, kommt Christian Rainer mit der Forderung nach Klarnamenspflicht im Internet (siehe >hier).
Er fühlt sich zu dieser Forderung veranlasst, weil ihm Shitstorms zu sehr stinken.

„Die Meinungsäußerung im Netz, in sozialen Medien hat Maß und Ziel verloren, passiert außerhalb jeder Selbstregulierung und Kontrolle.“

In einem Punkt hat Herr Rainer ja recht: Shitstorms stinken. Deswegen heißen sie ja so. So manches, was im Zuge einer derartigen Massenentrüstung ausgeschieden wird, ist nicht einmal halbverdaut. Darüber kann und muss man reden. Rainer wählt einen ganz einfachen Weg, um nicht darüber reden zu müssen: Klarnamenspflicht im Netz. In seiner Welt ist das nämlich so:

„Wer seinen Namen bekannt gibt, treibt weniger Unsinn.“

Als lupenreiner Demokrat und weil er als Chefredakteur und Herausgeber eines Qualitätsmagazins Sinn von Unsinn unterscheiden kann, will er sich mit seiner Forderung nicht in die Nähe von autoritären Regimen stellen lassen. Daher greift er zu einem ganz gewieften Trick. Als Beweis, dass Anonymität schädlich ist, muss das Dritte Reich herhalten:

„Die anonyme und durchaus gewünschte anonyme Vernaderung im Dritten Reich ist noch in Erinnerung.“

In meiner Welt ist das ein wenig anders. In der leben nämlich auch Menschen, die das Internet dazu nutzen, die Welt mit Informationen über autoritäre Regime zu versorgen oder Protestaktionen zu organisieren und dafür mit Gefängnis, Todesstrafe und Verfolgung rechnen müssen. Die von Christian Rainer nicht näher beschriebene Verpflichtung, das Internet nur mit Realnamen verwenden zu dürfen, würde ihre Arbeit entweder verunmöglichen oder sie direkt in Gefängnisse oder zu Hinrichtungsstätten führen. Das klingt jetzt ein wenig platt, konsequent zu Ende gedacht ist das aber so.
Ich lese das profil ja schon länger nicht mehr, aber ich gehe davon aus, dass auch dort über den arabischen Frühling, über Twitter-Sperren in der Türkei bzw. über die Idee zur Registrierungspflicht für russische Blogger berichtet wurde.
Nun will ich nicht behaupten, dass es in Österreich und der EU so schlimm um den Schutz der Grund- und Menschenrechte bestellt ist, wie in es in den oben genannten Ländern ist bzw. war. Ich will aber auch nicht, dass wir Regelungen bzw. eine Infrastruktur schaffen, die alle ans Messer liefern, sollte der Wind einmal drehen. Anzeichen dafür gibt es eh schon mehr als genug. Schon gar nicht will ich, dass halbwegs demokratische Länder sich als Vorreiter für undemokratische Methoden im Umgang mit zuweilen unangenehmen Argumenten im öffentlichen Diskurs in die Weltgeschichte einschreiben.
Dem Herrn Rainer sei also ins Stammbuch geschrieben:

  1. Auch unter Verwendung des eigenen Namens kann man viel Unsinn treiben. Sein Artikel darf hier als Beweis dienen.
  2. Wenn’s stinkt, kann man sich auch die Nase zuhalten.
  3. „recht auf anonymität im internet“ bringt auf startpage.com 127.289 Ergebnisse

Epilog

Ich habe vor einiger Zeit mal argumentiert, dass Google als einzelnes Unternehmen sehr wohl das Recht habe, von seinen Usern zu verlangen, Google+ nur mit Klarnamen zu verwenden (siehe >hier). Ich halte diese Argumentationslinie auch heute noch für schlüssig. Google weiß ohnedies, wer seine User sind, kann als Unternehmen auch festlegen zu welchen Konditionen seine Services verwendet werden und die Klarnamenspflicht würde bei den Usern mehr Bewusstsein schaffen, was Google alles über sie weiß. Bei meinem aktuellen Wissenstand würde ich das nicht mehr schreiben. Heute ist mir bewusst, dass die Alternativen zu Google et. al immer weniger wirtschaftliche Chancen haben und es gibt immer mehr einflussreiche Menschen, die ihre Nasenschleimhäute mit äußerst bedenklichen Mitteln vor üblen Gerüchen schützen wollen.

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